Chatkontrolle im LIBE-Ausschuss vorgestellt
An manchen Tagen lohnt es sich, genau hinzuhören, wenn Gesetzesvorschläge präsentiert werden. Konstantin von Digitalcourage hat das gemacht und die wichtigsten Eindrücke vertröötet und vertwittert. Auch khaleesi vom Chaos Computer Club hat die Sitzung begleitet und netzpolitik.org hat berichtet. Für alle, die es verpasst haben, hier nochmal das Wichtigste in aller Kürze:
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat den Mitgliedern des Europäischen Parlaments im LIBE-Ausschuss die CSA-Verordnung vorgestellt, auch bekannt als #Chatkontrolle. Im Namen des Kinderschutzes will die EU-Kommission die privaten Nachrichten der Menschen durch eine automatisierte KI überwachen. Das gefährliche Client-Side Scanning würde Verschlüsselung untergraben und Menschen den Zugang zu sicheren und privaten Onlinediensten nehmen. Der Vorschlag würde Kinder nicht schützen, aber private Kommunikation scannen und öffentliche Diskurse filtern.
Das Recht auf Privatsphäre ist unerlässlich für demokratische Gesellschaften. Sonst gibt es keine Geschäftsgeheimnisse, keine ärztliche Schweigepflicht, kein Anwältinnengeheimnis und keinen journalistischen Quellenschutz. Auch die Seelsorge, gewerkschaftliche Aktivitäten, Start-ups und politischer Protest sind auf Privatsphäre angewiesen.
Im LIBE-Ausschuss wurden der EU-Innenkommissarin kritische Fragen gestellt. Etwa durch Birgit Sippel, die das Recht von Kindern auf Privatsphäre betonte, welches durch die Chatkontrolle verletzt würde. Die Abgeordnete Saskia Bricmont verwies auf den UN-Bericht des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte, der vor den Gefahren von Überwachungstechnologien wie Client-Side Scanning warnt. Patrick Breyer kritisierte im LIBE-Ausschuss, dass die EU-Kommission mit der Chatkontrolle Opfern sexualisierter Gewalt die Möglichkeit nimmt, sich vertraulich Hilfe zu suchen. Nirgends auf der freien Welt gebe es eine so radikale Überwachungsmaßnahme wie diesen Vorschlag für Chatkontrolle. Paul Tang erinnerte daran, dass eine anlasslose Massenüberwachung nicht mit europäischen Grundrechten vereinbar ist, und fragte, ob Ylva Johansson die Gefahren sehe, die aus ihrem Vorschlag resultieren können.
Es wurde auch gefragt, ob der Vorschlag der EU-Kommission überhaupt eine angemessene beziehungsweise die richtige Rechtsgrundlage habe. Clare Daly äußerte die Befürchtung, dass das Gesetz zu einer automatischen Durchsuchung der privaten Kommunikation aller führen werde. Sophie in’t Veld verwies auf einen Fall, der sich kürzlich in den USA ereignet hat: ein Filter von Google schlug automatisch Alarm, als ein Vater einem Kinderarzt – zur medizinischen Beratung in einem Notfall – ein Foto vom Genitalbereich seines Sohnes schickte. Der Vater wurde fälschlicherweise verdächtigt, die Polizei wurde benachrichtigt und er verlor den Zugang zu seinen Accounts. Genau solche Falschverdächtigungen würden mit einer Chatkontrolle zum Alltag.
Auf diese und andere kritische Fragen ging Ylva Johansson aber nicht oder nicht überzeugend ein, sie wirkte teilweise ahnungslos. Die EU-Innenkommissarin behauptete auch, dass es nicht um Verschlüsselung gehe. Es entstünde generell kein Problem, wenn das neu zu schaffende EU-Center entscheide, was technologisch machbar und einzusetzen sei. Alles sei mit Grundrechten vereinbar. Wie das möglich sein soll, erklärte sie nicht. Bei den Details musste sie passen. Johansson verwies außerdem wieder auf die fragwürdigen Statistiken von Meta und Safer, die von dem verpflichtenden Einsatz ihrer Technologien finanziell profitieren würden. Der ehemalige Europaabgeordnete Felix Reda hatte das zuvor durch eine Anfrage beim Portal „AskTheEU“ öffentlich gemacht.
Unser Eindruck von der LIBE-Sitzung
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson wirkte bei der Vorstellung der Chatkontrolle nicht überzeugend. Kritik kann oder will sie nicht hören. Wir hätten Johansson gerne vor dem Gesetzesvorschlag beraten, um dieses Debakel zu vermeiden. Gemeinsam mit dem EDRi-Netzwerk kennen wir uns mit Digitalpolitik und Grundrechten aus. Die EU-Kommissarin hat sich jedoch ausschließlich mit Industrielobbyist.innen getroffen und unsere Expertise ignoriert.
Jetzt erst recht!
Um ein sicheres Internet für alle zu gewährleisten, muss die EU-Kommission bessere Alternativen verfolgen. Sie muss die Chatkontrolle zurückziehen und stattdessen einen rechtsstaatlich vertretbaren Vorschlag vorlegen. Das fordern schon 114 Grundrechtsorganisationen in der EU.
Als Bündnisses „Chatkontrolle stoppen!“ haben wir mit weiteren Organisationen in Deutschland den Aufruf zum Stoppen der Chatkontrolle veröffentlicht. Teilt den Aufruf und schließt euch uns an! Wir müssen weitere zivilgesellschaftliche Gruppen über die Gefahren der Chatkontrolle aufklären und von allen politischen Entscheidungsträger.innen ein klares Bekenntnis gegen dieses unverhältnismäßige und fehlgeleitete Überwachungspaket einfordern.
Dieser Text von Konstantin wurde zuvor im Blog von Digitalcourage veröffentlicht.