Hintergrund

Was ist das Problem und was wollen wir?

Die EU-Komission plant mit einer neuen Verordnung ein massives Überwachungsgesetz: Alle Chats sollen durchleuchtet werden. Ob mit Demos, Protestaktionen oder Anrufen an unsere Abgeordneten: Um die Möglichkeit zur privaten Kommunikation zu retten, müssen wir jetzt aktiv werden!

Unsere Argumente

Schützt Kinder nicht

Dieses Gesetz wird nicht dazu beitragen, die Situation von Opfern deutlich zu verbessern: Zum einen werden Abbildungen von Kindesmissbrauch nicht vornehmlich über Messenger verschickt, das Gesetz fasst die tatsächlichen Verbreitungswege garnicht erst an. Zum anderen schätzen Expert*innen den Vorschlag als so grundrechtswidrig ein, dass er vom Europäischen Gerichtshof zurückgenommen werden wird. Dann muss nach vielen Jahren Arbeit am Gesetz von vorne begonnen werden und es dauert noch länger, bis wirksame, die Kinder schützende Regelungen beschlossen werden. Und selbst wenn das Gesetz zurückgenommen wird: Eine massive Überwachungsinfrastruktur wird damit trotzdem geschaffen, die sich auch leicht für andere Zwecke mitverwenden ließe.

Totale Überwachung

Das analoge Äquivalent zum aktuellen Vorschlag wäre unter anderem, dass in jedem Treppenhaus eine Maschine steht, die alle Briefe liest, die wir aus dem Briefkasten geholt haben: Jeden Brief, in der ganzen EU. In Definitionsbiegereien behaupten zwar konservative Sicherheitspolitiker*innen, damit sei die Ende-zu-Ende Verschlüsselung nicht verletzt, weil der Brief ja erst mitgelesen wird, nachdem er aus dem Briefkasten geholt wurde. Faktisch führt es aber zu einer klaren Situation: Noch nie wurde in der EU ein Überwachungsgesetz diskutiert, das die private Kommunikation in derartigem Umfang betroffen hat.

Bedroht Berufsgeheimnis

Manche Berufsgruppen sind zu Verschwiegenheit verpflichtet: Ärzt*innen, Anwält*innen, Journalist*innen, Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen und viele weitere. Diese sind auf eine intakte Ende-zu-Ende Verschlüsselung unbedingt angewiesen, um dem angemessenen Schutz ihrer Quellen, Opfer oder Patien*innen gerecht zu werden. Da mit der Chatkontrolle ein sehr großer Teil der Nachrichten gescannt wird und man nicht mehr sicher sein kann, dass die Nachricht nur bei der Person ankommt, an die man sie geschrieben hat, bedroht dieser Vorschlag Berufsgeheimnisse sehr stark.

Missbrauchspotential

Stellen wir uns vor, es gäbe schon heute ein System in der EU, welches zumindest technisch in der Lage ist, von einem Moment auf den anderen ein beliebiges Bild auf eine schwarze Liste zu setzen, so dass es nirgendwo versendet oder hochgeladen werden kann. Flächendeckend, auf jeder Plattform, überall. Oder das es möglich wäre, Texte mit bestimmten Themen und Stichwörtern flächendeckend nicht mehr versendbar zu machen. Teilautoritäre Staaten wie Ungarn oder Polen hätten hier sicherlich Ideen, wie man diese Systeme missbrauchen könnte, um queere Inhalte zu zensieren oder um Teilnehmer*innen von Protesten zu identifizieren.

Gefährdet Unschuldige

Dass das Scannen aller Bilder auch Unschuldige treffen wird, ist kein hypothetisches Szenario mehr, sondern bereits konkrete Realität: Ein amerikanischer Mann verlor Zugang zu seinen Onlinekonten, nachdem er für einen Arzt ein Foto vom Intimbereich seines Sohnes gemacht hatte. Von Google wurde das Foto als Kindesmissbrauchsabbildung erkannt und seine Konten gesperrt. In seinem Google Konto waren sein Mobilfunkvertrag, Fotos und seine Kontakte: Zu allem davon verlor er dauerhaft den Zugang, das Konto wurde gelöscht. Eine Möglichkeit zum Wiederspruch gab es genauso wenig wie eine zugängliche Stelle, der man die Situation schnell erklären konnte. Auch wenn sich diese Geschichte in den USA abgespielt hat: Sehr wahrscheinlich könnte sie mit der Chatkontrolle exakt so in der EU passieren.

Stattdessen fordern wir:

Kein massenhaftes Scannen und kein Eingriff in die Verschlüsselung!

Aufruf

Chatkontrolle STOPPEN:

Kinderschutz statt Massenüberwachung

Die EU-Kommission möchte Messenger und viele andere Internetdienste dazu zwingen, unsere Nachrichten und Onlineinhalte zu überwachen – und damit unsere freie und private Kommunikation untergraben. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden Kinder nicht besser schützen. Stattdessen verengen sie den Blick auf technokratische Überwachungsinstrumente, die unverhältnismäßig unsere Grundrechte einschränken. Mit der Chatkontrolle wird ein Überwachungspaket geschaffen, das sich gegen die gesamte Bevölkerung der EU richtet.

Der Verordnungsvorschlag der EU ist ein Angriff auf unsere Freiheitsrechte und nimmt uns die Möglichkeit, selbstbestimmt über unser Leben mit Technik zu entscheiden. In Zukunft sollen Behörden unsere Familienchats kontrollieren und entscheiden, welche Apps wir installieren können. Uploadfilter sollen maßregeln, was wir auf sozialen Medien schreiben und im Internet teilen dürfen. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wird untergraben. Das bedroht insbesondere unser Recht auf vertrauliche private und freie öffentliche Kommunikation. Davon sind im digitalen Zeitalter auch andere Grundrechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit abhängig und gefährdet.

Eine technische Umsetzung des Gesetzes ist nur durch den Aufbau einer beispiellosen und undurchsichtigen Überwachungsinfrastruktur möglich, die nicht demokratisch kontrollierbar ist. Die Verantwortung dafür wälzt die EU-Kommission auf private Unternehmen ab und zwingt sie, die Sicherheit und Privatsphäre ihrer Dienste drastisch einzuschränken. Private Nachrichten sollen durch eine fehler- und missbrauchsanfällige „künstliche Intelligenz“ überwacht werden. Das wird unzählige Falschmeldungen von legitimer und legaler Kommunikation erzeugen. Dabei werden Unschuldige in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt. Das bindet auch Kapazitäten, die für gezielte und effektive Ermittlungen gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder genutzt werden müssten.

Die Chatkontrolle gefährdet insbesondere Personen und Organisationen, die vorrangig auf vertrauliche Kommunikation angewiesen sind: Geschäftsgeheimnisse, ärztliche Schweigepflicht, Anwält*innengeheimnis, journalistischer Quellenschutz, Seelsorge, gewerkschaftliche Aktivitäten, Start-Ups, politischer Protest. Die Sicherheit und Vertraulichkeit der Kommunikation von uns allen werden untergraben und damit zentrale Stützen der Zivilgesellschaft ausgehöhlt. Jugendliche können nicht mehr sicher kommunizieren und Opfern sexualisierter Gewalt wird eine wichtige Möglichkeit genommen, sich vertraulich Hilfe zu suchen.

Wir fordern von allen politisch Verantwortlichen, dass sie den Schutz der freien Meinungsäußerung, der Privatsphäre und der Sicherheit im Internet für alle Menschen sicherstellen, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche. Das blinde Vertrauen in vermeintliche technische „Lösungen“ wird Kinder nicht schützen. Stattdessen muss die EU-Kommission zielgerichtete Alternativen vorlegen und die nötigen Mittel für Prävention und Opferschutz zur Verfügung stellen. Das Überwachungspaket mit der Chatkontrolle wird eine Überwachungsinfrastruktur dystopischen Ausmaßes schaffen und muss verhindert werden.

Liste der unterzeichnenden Organisationen:

Algorithmwatch
ArGE Tübingen
Berliner Wassertisch
ChaosComputerClub
Cilip Bürgerrechte und Polizei
D64 e.V. – Zentrum für Digitalen Fortschritt
Dachverband der Fanhilfen e.V.
Deutscher Fachjournalisten Verband
Digitalcourage
Digitale Freiheit
Digitale Gesellschaft
DVD – Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V.
FifF – Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung
Gesellschaft für Informatik
Giordano-Bruno-Stiftung
Humanistische Union
Humanistische Union Berlin-Brandenburg
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Load e.V.
LabourNet Germany
MOGiS e. V. – Eine Stimme für Betroffene
Netzwerk Datenschutzexpertise
RAV – Republikanischer Anwält*innen- und Anwälteverein e.V.
Reporter ohne Grenzen
Superrr Lab
Whistleblower Netzwerk
Zwiebelfreunde e.V.

Grüne Jugend
Junge Liberale
Junge Piraten
Jusos
Linksjugend

Auf europäischer Ebene sind wir Teil der Kampagne

„Stop Scanning Me!“